17 Mai 2007

Holy Cow!

Die "Heilige Kuh" des Deutschen ist ja bekanntlich sein Auto. Das wird gehegt und gepflegt, jeden Samstag gewaschen und poliert und dann auf der Autobahn mal so richtig ausgefahren. Dazu gehoert eine gehoerige Portion Aufmerksamkeit, denn passt man bei Tempo 250 mal nicht so gut auf, sitzt man ziemlich schnell in der Leitplanke und vorbei ist die brausende Fahrt.

Vorsichtshalber darf man hier von vorne herein nicht so schnell fahren. Das Auto ist wichtig, aber es ist im Prinzip einzig zur Fortbewegung da. Deswegen sind Getraenkehalter auch ein sehr wichtiges Utensil im amerikanischen Auto, denn der Amerikaner an sich lebt ja in seinem Auto, so wie frueher in seinem Ochsenkarren Richtung Westen. Wie praktisch, dass es alle nur denkbaren diesem Lebensstil angepassten Einrichtungen gibt, die es ermoeglichen, sein Auto so gut wie nicht mehr zu verlassen: Fast alle Fast-Food Restaurants - und davon gibt es SEHR VIELE und auch sehr viele unterschiedliche, nicht nur Burger King und McDoof - haben einen Drive-Thru, das ist ja auch in Deutschland schon normal. Drive-In heisst hier, man faehrt auf einen Parkplatz und bestellt ueber eine Funkanlage, dann kommt jemand raus und bringt einem das Essen ans Auto, in dem man die nahrhafte Mahlzeit dann zu sich nimmt. Auch toll, so im Auto zu essen. Vor allem, weil man dann ja auch den Motor laufen lassen kann. Manchmal, um es kuehl zu haben, aber auch ohne die Klimaanlage sehen es viele nicht ein, den Motor abzuschalten. Da wird sich staendig beschwert, dass Benzin so unglaublich teuer ist und man teilweise schon $3 fuer eine Gallone (fast 4 Liter) Benzin bezahlen muss. Aber ein dicker Pick-Up-Truck muss es trotzdem sein, auch wenn der 30 Liter verbraucht. Und wozu den Motor abschalten? Man steht ja nur 10 Minuten da. Oder 20 oder eine halbe Stunde. Egal.
Dann gibt es noch Drive-Thru Banken und Geldautomaten, wo man seine Bankgeschaefte durchs Autofenster abwickelt und in Texas Drive-Thru Schnapslaeden. Man faehrt in eine Art Scheune, gibt seine Bestellung auf und bekommt die gewuenschten Getraenke und Kartoffelchips dann durchs Fenster gereicht. Aber keine Angst, waehrend der Fahrt duerfen sich keine offenen oder geoeffneten Alkohol Flaschen im Auto befinden. Das heisst, nicht mal Passagiere duerfen was trinken. "Beer is down when in town".
Im Drive-In Kino schaut man sich den Film vom Auto aus an. Der Ton kommt dabei direkt uebers Radio rein.

Ueberhaupt komme ich mir hier manchmal wie die letzte Oeko-Tussi (oder netter gesagt Umwelt-Engel) vor, obwohl ich das eigentlich gar nicht bin und auch schon mal 50 Meilen weit fahre nur um acht Meilen durch den Wald zu laufen. In Kalifornien ist mir das nicht so extrem aufgefallen, aber hier geht wirklich keiner auch nur mal 20 Minuten zu Fuss. Gestern waren wir mit Jons Klasse beim Bowling - diesmal allerdings ohne Bier. Die Bowling-Bahn ist etwa eine Meile von unserem Hotel entfernt auf der Base und das Wetter war gut. Natuerlich sind Jon und ich also zu Fuss dahin gegangen. Irgendwie haette ich jetzt mal vermutet, die anderen auch. Viele haben nicht mal eine Auto da, weil sie mit dem Flugzeug angereist sind. Als es also dann dem Ende zuging und alle zurueck wollten, wurden wir gleich gefragt, wie viele Leute wir denn im Auto mitnehmen koennten. Wir mussten zugeben, dass das Auto vor dem Hotel stand und wurden dann noch gefragt, ob wir mit jemand anderem mitfahren wollten. Nein danke, wir gehen zu Fuss!
Ebenso zum Supermarkt, der auch nur einem Meile entfernt ist. Ich gehe dahin meist entweder zu Fuss oder fahre mit dem Rad. Nur wenn ich groessere Mengen an Getraenken kaufen will, nehme ich das Auto. Da bin ich aber die Einzige und es gibt nicht mal Fahrradstaender.
Ich treibe regelmaessig Kassierer und Bagger (das sind die Leute, die einem die Sachen in Einkaufstueten packen und nur fuers Trinkgeld arbeiten) in den Wahnsinn, weil ich die alten Tueten mitbringe und wieder verwende oder meinen schicken rosa Einkaufskorb bzw. mit dem Rad eben einen Rucksack. Die wollen mir dann die Sachen in Tueten UND noch zusaetzlich in meine mitgebrachten Taschen packen. Welchen Sinn soll das denn ergeben? Jedes Mal ist es das Gleiche.

Amerika gefaellt mir ja meist ziemlich gut und ich lebe auch gerne hier (naja, nicht gerade in Montgomery, aber mehr so allgemein), aber diese Verschwendungssucht geht mir doch etwas auf die Nerven. Und dass wirklich jede noch so kurze Strecke mit dem Auto zurueck gelegt werden muss. Dabei sieht man auch hier Laeufer und Radfahrer, aber irgendwie schaffen die Leute es nicht, solche Sachen im Alltag zu verbinden. Komisches Volk, unter dass ich da geraten bin! Durch diese Bowling-Geschichte gestern ist mir erstmal wieder aufgefallen, was das fuer eine Umstellung fuer Jon ist, mit mir zu leben und solche Sachen mitzumachen. Dafuer haelt er sich aber doch erstaunlich gut, finde ich. Es ist schon sehr nett, mit einem Marathonlaeufer verheiratet zu sein. Besonders, wenn man selber einer ist!

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hochinteressant, dieser Bericht von dir !
Als ebenfalls im Ausland lebende deutsche Öko-Tussi spricht mich das natürlich besonders an ;o)
Das mit dem Auto-laufen-lassen-wenn-man-beim-Bäcker-sein-Baguette-kauft machen die Franzosen übrigens auch. Und es macht micht nach wie vor jedesmal wahnsinnig, wenn ich das sehe ;o)

Anonym hat gesagt…

Es ist genau so, wie ich mir die Amerikaner vorstelle. Ich war zwar noch nicht im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, aber im Urlaub habe ich schon genügend dieser Verschwender und Verschmutzer kennengelernt. Kein Wunder, wenn die Politiker kein Interesse am Klimaabkommen haben, das fehlende Bewusstsein ist offenbar angeboren. Deine Berichte sind spitze! Liebe Grüße aus dem Erzgebirge. Jana

Anonym hat gesagt…

Nachtrag:
alle Amerikaner sind sicher nicht so, ich hoffe da gibt es auch Ausnahmen :-)

Anonym hat gesagt…

Hallo Kerstin,

Du sprichst mir aus der Seele. Bei meinen morgendlichen Joggingrunden muss ich mich auch immer über die Autos aufregen, die man mal warmlaufen lässt, während man noch im Haus seinen Kaffe trinkt!
Wir waren die Woche bei IKEA und die verlangen nun tatsächlich 5 cent pro Tüte! Find ich klasse. Und in San Francisco dürfen keine Plastiktüten mehr verwendet werden. Es tut sich also was, zumindest in Kalifornien und das macht mir dann doch etwas Hoffnung.

Viel Spaß weiterhin in den Südstaaten,

Caro

Anonym hat gesagt…

Kalifornien ist auf jeden Fall "europaeischer" als z. B. Alabama. Wahrscheinlich ist es mir deswegen dort nicht so negativ aufgefallen.
Zum Glueck haben wir Montgomery nun endlich hinter uns gelassen und reisen dieses WE noch durch Florida. Beim Laufen in Tallahassee durch eine an sich sehr schoene Wohngegend im Gruenen hab ich allerdings sehr schmerzlich Buergersteige vermisst. Ja, gibt's hier sowas etwa nicht?

Anonym hat gesagt…

Schön beschrieben hast Du das.

Ich kenne das Ganze von meinem Traumwohn-/urlaubsland Canada. Oft sind wir über irgendwelche Mäuerchen gelaufen, weil es an Bürgersteigen fehlte, um z.B. vom Supermarkt zum Liquor Store zu kommen - zu Fuß gehen ist einfach nicht vorgesehen. Ok, wir brauchen uns fürs Wohnmobil keine Mülltüten kaufen, da wir beim ersten Lebensmittelkauf schon genug für den Rest vom Urlaub bekommen.

Als wir das letzte mal dort waren, lief ich schon - jeden 2. Tag durfte ich mir an einem neuen Ort Laufstrecken suchen. Spannend - auch die Gesichter der doch deutlich zu hochgewichtigen Canadier, wenn die kleine Frau morgens um 6.00 Uhr über die Landstraße lief.