22 November 2005

Fort Ord Public Lands


Mein fleißiger Student muss heute, am Sonntag, studieren, also fährt er mich die 10 Meilen zum Fort Ord, einer ehemaligen U.S. Army Base, die heute ein 7000 Hektar großes Naherholungsgebiet bietet. Es gibt hier alle möglichen Vogelarten und auch vor Raubtieren wie Kojoten, Pumas und Bobcats sollte man sich in Acht nehmen.


Dermaßen gewarnt betrete ich von dem großen unmarkierten und ausnahmsweise kostenfreien Parkplatz am Monterey-Salinas Highway aus das Gelände bestehend aus Steppen, Feuchtgebieten und Eichenwäldern, das ursprünglich für militärische Manöver benutzt wurde, heute aber der Erholung durch Wandern, Radfahren und Reiten dient. Das Straßen- und Wegesystem innerhalb Fort Ords ist für Motorfahrzeuge gesperrt.
Ich beginne die Wanderung auf der Toro Creek Road, einem breiten ungeteerten Weg am ausgetrockneten Toro Creek entlang.
Toro Creek
Er führt mich durch Grasland mit vereinzelten Eichen, Eukalyptus- und Ahornbäumen eine halbe Meile parallel zur Straße, bevor er nach Norden abbiegt und zur Guidotti Road wird. Der Bundesstaat Kalifornien hat übrigens die höchste Konzentration an Familien mit dem italienischen Namen Guidotti, einer Verniedlichung von Guido, in den gesamten USA.
Ich überquere einen kleinen Bach, der tatsächlich etwas Wasser führt, auf einer Betonbrücke aus dem Jahre 1911, bevor der Weg anzusteigen beginnt.

Die Eichen hier verlieren auch im Winter nicht ihre Blätter, die gegen die Trockenheit mit einer glänzenden, harten Oberfläche und gegen allzu hungrige Weidetiere mit spitzen Enden versehen sind.
Der Weg windet sich den Hügel hinauf und ich gerate zum ersten Mal ins Schwitzen. Kein Wunder, mein Thermometer zeigt 28,4° Celsius an, und das im November. Schatten gibt es nicht, denn die Bäume stehen immer vereinzelter, je höher ich komme.

Von weitem sehe ich eine Gestalt auf mich zukommen und wundere mich, was sie da vor sich trägt. Geht sie mit ihrem Bay spazieren? Nein, das ist es nicht. Beim Näherkommen entdecke ich, dass es sich bei dem Behälter, den sie sich vor die Brust geschnallt hat, um einen Reise-Vogelkäfig handelt. Die Frau führt doch tatsächlich ihren Vogel aus. Hat die einen Vogel?
Wir grüßen und gehen aneinander vorbei, bald komme ich an die steilste Stelle des Weges, doch dann ist es geschafft und erreiche den Grat, von dem ich einen herrlichen Ausblick auf den Toro County Park und Salinas habe.


An der T-Kreuzung mit der Skyline Road, nach einer Stunde bzw. 2,4 Meilen Wanderung, mache ich im trockenen Gras sitzend Mittagspause mit meinem Butterbrot aus der Tupperdose und einer 100-Kalorien-Packung Kekse.

Gestärkt mache ich mich an den Abstieg. Hier verlasse ich den in meinem schlauen rosa Buch beschriebenen Weg, der mir mit sechs Meilen für eine Sonntagswanderung doch ein bisschen zu kurz ist, und wende ich mich nach links. Einige Mountainbiker kommen mir entgegen, den Berg hoch gekeucht.
An einer Spitzkehre treffe ich auf einen Maschendrahtzaun, der den Laguna Seca Raceway vom Fort Ord abtrennt. Die Rennstrecke ist zu Jons Leidwesen im Gegensatz zum Nürburgring nicht für die Öffentlichkeit freigegeben, so sehr er sich auch wünschen würde, sein Auto hier auszuprobieren. Auf dem Nürburgring sind wir zweimal gefahren, bevor wir nach Amerika gekommen sind.
Heute jedoch bin ich zu Fuß und so geht es wieder bergauf. Eigentlich wollte ich der Pilarcitos Canyon Road folgen, doch nun entscheide ich mich spontan um und gehe links auf der Skyline Road weiter. Es ist 31,3° heiß.

Hier ist das Fahrverbot aufgehoben und ich befinde mich auf einer breiten Staubstraße Lookout Ridge.
Wetterstation
Die Aussicht ist fantastisch, aber ich mache mir doch ein bisschen Sorgen. Überall stehen Schilder, ich sehe zwei alte Autoreifen, zwei umgekippte weiße Plastikstühle und zwei Pylonen. Bin ich etwa versehntlich auf eine Motorcross-Strecke geraten? Ich bin ganz alleine und kein Motorenlärm stört den Frieden, aber seltsam ist das Ganze schon. Immerhin befinde ich mich direkt neben der Laguna Seca Rennstrecke. Sobald wie möglich biege ich wieder nach rechts auf den Wanderweg 11, eine für Motorfahrzeuge gesperrte Feuerstraße, ab.

Die Vegetation ändert sich und ich komme in ein Chapparral-Gebiet mit harten Sträuchern und Gräsern, die besonders gut an die Trockenheit angepasst sind. Erosion hat in den Hügeln bizarre Formen und Steilwände hinterlassen. Ich komme mir vor wie im Wilden Westen und eine Geschichte von John Steinbeck, der hier in der Gegend gelebt hat, kommt mir in den Sinn. Ein Mann ist auf der Flucht, es geht soweit gut, als dass er seine Verfolger abschütteln kann, aber zu guter Letzt verdurstet er in der Wildnis. Der Prozess dauert quälend lange, bis zum Schluss hat er Hoffnung, obwohl schon die Geier kreisen. Es ist lange her, seit ich die Geschichte gelesen habe, aber genau so wie hier habe ich mir die Landschaft immer vorgestellt. Ich selber bin mit genug Wasser ausgestattet und habe diese Probleme zum Glück nicht, aber die ganze Zeit muss ich an diese Geschichte denken. Ich bin mir fast sicher, dass sie hier spielt.

Ein Vogel gleitet ganz nah an mir vorbei. Immer oberhalb und parallel zur Pilarcitos Canyon Road wandere ich weiter. Dieses Land fasziniert mich immer wieder in seiner Unterschiedlichkeit. Das Meer ist nah.

Ein Steilhang spendet Schatten auf dem Weg. Ich bin seit zweieinhalb Stunden unterwegs, da ist es Zeit für eine kurze Pause und meinen Apfel aus dem Rucksack. Ich genieße die Stille, die eintritt, wenn meine Schuhe nicht auf dem Weg aus groben Sand und Staub und feinem Schotter knirschen. Ich bin allein, aber nicht einsam und blicke über das Tal mit dem Highway hinweg auf die höheren Berge im Süden und Osten und auf das Salinastal, das wegen seines ganzjährig milden Klimas und seiner Nähe zum Salinas River intensiv landwirtschaftlich genutzt wird. Auf einer Breite von nur ein paar Meilen ist das Land dort brettflach und es wird vor allem Obst und Gemüse angebaut, sodass wir das ganze Jahr über frische Erdbeeren direkt aus der Umgebung kaufen können. Natürlich muss alles Angebaute regelmäßig bewässert werden, wenn es gedeihen soll. John Steinbecks bekanntester Roman, Früchte des Zorns, spielt hier und schildert die Probleme der Erntehelfer Anfang des 20. Jahrhunderts in Kalifornien, die für einen Hungerlohn von einer Ernte zur nächsten ziehen und doch nichts haben als die Kleider auf ihrem Leib. Diese Aufgabe wird heutzutage größtenteils von Mexikanern übernommen, die vergleichbar mit den Polen in Deutschland zur Spargelernte, harte Arbeit für miesen Lohn nicht scheuen und es trotzdem noch schaffen, zu sparen und Geld in die Heimat zu schicken. Erkennen kann man ein Feld, das gerade abgeerntet wird, neben den Arbeitskräften auch an den Trucks mit Dixi-Klos auf dem Anhänger.

Ich wandere weiter auf dem Grat durch ein Land voller Widersprüche, aber auch voller natürlicher Schönheit und Wildheit, wie wir sie in Europa kaum noch kennen.

Jacks Road, die ich als nächstes erreiche, ist eine schmale asphaltierte straße und hier begegnen mir auch zwei oder drei Autos und zwei seltsame Hütten mit Wassertanks daneben, etwa eine Meile voneinander entfernt. Was mag das zu bedeuten haben? Ich komme nun wieder ins Grasland mit den immergrünen Eichen, die so charakteristisch sind fü diese Gegend.
Die Bäume mit den herunterhängenden lichens, eine Mischung zwischen Algen und Pilzen, die den Bäumen nicht schadet, finde ich dann doch ein bisschen unheimlich und verwunschen, vor allem, weil sich die Sonne so langsam dem Westen nähert und die Szene ins rechte Licht setzt. Das sind Gespensterbäume, da bin ich mir fast sicher!



Ein fast ausgetrockneter Teich auf der rechten Seite der Straße, und hier sehe ich auch wieder die ersten Ausflügler, die mich seit der Skyline Road verlassen zu haben scheinen. Ich gehe schnell, denn es ist noch weit und ich möchte wegen der Raubtiere nicht im Dunkeln unterwegs sein. Seit der Kreuzung mit der Engineer Canyon Road ist die Straße wieder unbefestigt und angenehmer zu gehen. Ich befinde mich auf dem Juan Bautista de Anza Historic Trail. Anza war Spanier und Kapitän des Königlichen Presidios in Tubac, Sonora (heute südliches Arizona). 1774 bewies er, dass es einen Landweg nach San Francisco gab, indem der seine eigene erfolgreiche Expedition finanzierte. Er plante, mit Emigranten und einer Herde Vieh zurück zu kehren, karthografierte Wasserstellen und Weiden und nahm Kontakt mit den Indianerstämmen entlang seiner Route auf. Der nationale Wanderweg empfindet die Strecke nach, auf der Juan Bautista de Anza 1775-76 ein Kontingent von 30 Soldaten und ihren Familien führte, um ein Presidio in der Nähe der Bucht von San Francisco zu gründen.


Die Familie, einen Vater mit drei Kindern, habe ich schnell abgehängt.

Um fünf Uhr bin ich nach einem Eilmarsch über die Oil Well und die Toro Creek Road wieder am Parkplatz, wo der von mir herbeitelefonierte Jon schon auf mich wartete und mich wieder nach Hause kutschierte.

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