10 Oktober 2005

Yosemite National Park

Ich hab's doch noch geschafft, bis Donnerstag spät in die Nacht alles für die Reise vorzubereiten und so saßen wir Freitag am frühen Morgen schon wieder im Auto Richtung San Jose. Das war zwar nicht unser eigentliches Ziel, aber wenn ich in Amerika wohnen bleiben will, müssen wir noch ungefähr 20.000 Formulare ausfüllen und um uns zu erkundigen, ob wir das auch alles richtig machen und was wir noch brauchen, waren wir als erstes beim immigration office, bevor der Spaß richtig losgehen konnte.
Wir hatten gleich um halb acht einen Termin gemacht, damit wir noch viel von dem Tag hatten und man musste mindestens eine Viertelstunde vor dem Termin da sein. nach San Jose fährt man etwa eineinhalb Stunden...
Wir durchliefen erfolgreich die Sicherheitskontrollen und wurden erstmal aufgefordert zu warten. Ich kam mir ziemlich blond vor bei den Massen von Mexikanern und Asiaten, die außer uns Platz genommen hatten und sich meistens schon ziemlich gut auskannten in dem Gebäude. Waren wohl nicht zum ersten Mal hier. Eine Frau hörten wir, die sich beklagte, dass ihre Unterlagen verloren gegangen seien. Na denn mal Prost Mahlzeit!
Nachdem wir alle Fragen erfolgreich beantwortet bekommen hatten - ich muss als nächstes zum Arzt und mich untersuchen lassen - machten wir uns endlich auf den Weg nach Osten in die Wildnis.
Vorher noch mal ordentlich bei in'n'out-burger stärken, wer weiß, wann es wieder was Warmes zu essen gibt!

Lebensmittel für die Tour hatte ich schon am Vortag besorgt und so konnten wir direkt zum Yosemite Nationalpark vordringen. Schon 15 Meilen vor dem Park wurde nur noch ein einziger Radiosender übertragen, der Sender des Nationalparks, der als einziges Programm in fünfminütiger Wiederholung Tipps zum Aufenthalt dort bot und eine Frau, die mit verstellter Stimme smokey bear imitierte:"Only you can prevent forest fires" - "Nur du kannst Waldbrände verhindern!" Sehr unterhaltsam, aber nach der dritten Wiederholung hatten wir dann doch genug und schalteten das Radio ab.
Der Eintritt für Yosemite ist doppelt so teuer wie für Sequoia: Mit $20 waren wir dabei und hatten die Erlaubnis, sieben Tage lang so oft wir wollten in den und us dem Park heraus zu fahren.
Wir wollten aber eigentlich nur rein, so wie 10.000 andere Besucher, die sich auf den gut ausgebauten Straßen des Parks in ihren Autos tummelten, um ab und zu mal auszusteigen, ein Foto zu schießen und drei Schritte im Tal zu gehen.

Es herrschte ein ziemlicher Trubel, kein Wunder am langen Wochenende, und als wir endlich den Parkplatz des visitor centers erreichten, kamen wir uns mehr vor wie auf der Kirmes als in der freien Natur. Der Parkplatz war riesig - und ausnahmsweise mal kostenlos - und fast randvoll belegt. Zum Besucherzentrum und zum Wildniszentrum war es ein Fußweg von einer halben Meile, man konnte aber auch den Shuttlebus nehmen.
Nein, wir sind natürlich gelaufen! Zusammen mit unzähligen Menschenmassen, vorbei am Yosemite Store, wo man ALLES kaufen kann, wenn auch zu völlig überteuerten Preisen, am Yosemite Arts Center, am Yosemite Post Office und an vielen anderen Lokalitäten, die sich die Bewirtung der Touristen zur Aufgabe gemacht haben. Wir dachten an das einfache Gebäude des Lodgeole Visitor Center im Sequoia National Park zurück und verglichen ihn mit dem Zirkus hier. Yosemite ist zu überlaufen, zumindest im Tal!
Aber wir wollten ja hoch hinaus, und zwar El Capitan besteigen. Eine Wanderung von zwanzig Meilen hin ung zurück, aufgeteilt auf zwei Tage, was eine Übernachtung in der Wildnis erforderlich machte. Die Erlaubnis dafür bekamen wir, zusammen mit unserer privaten bear box, die unsere Nahrungsmittel abseits der Zivilisation vor hungrigen Schwarzbären schützen sollte, für $5 im Wildernes Center. Wir mussten genau die Route angeben, die wir nehmen und die Zeit, die wir unterwegs sein wollten. Wären wir nicht zurück gekehrt, hätte man gewusst, wo man nach uns suchen sollte.

Der Nachmittag war mittlerweile schon ziemlich vorangeschritten und es war klar, dass wir heute keine Wanderung mehr machen konnten, immerhin brauchten wir auch noch einen Platz für diese Nacht, denn diesmal hatten wir ungeschickterweise nicht vorgebucht. Im Visitor Center gab man uns den Hinweis, weiter unten im Tal im Curry Village - keine Ahnung, woher dieser Name kommt - einen Platz zu reservieren, da fast alles ausgebucht sei.
Also erstmal wieder ins Auto und ein Stück weiter zu besagtem Dorf, wo wir uns in der falschen Schlange anstellten, bis ich zufällig mitbekam, wie andere Besucher zur Campingplatz Reservierung geschickt wurden. Nichts wie hinterher! Wir überquerten einen fast leeren Parkplatz mit vielen Apfelbäumen und ich wollte mich schon wundern, warum keine Äpfel auf dem Boden herum lagen, bis ich den Grund dafür entdeckte: Völlig ungerührt von dem Trubel fraß sich ein Reh satt. Auch als ich mich vorsichtig näherte, hob es zwar den Kopf, zeigte aber keine Spur von Angst. Kein Wunder, die Tiere haben hier nichts zu befürchten, jagen ist verboten.
Ich ging ein paar Meter von dem Tier entfernt in die Hocke und streckte meinen Arm aus, und tatsächlich kam es heran um zu sehen, ob ich etwas zu fressen hätte. Hatte ich nicht, aber trotzdem durfte ich es vorsichtig am Kopf und Hals streicheln. Jon war angesichts des doch recht stattlichen Geweihs ziemlich nervös, so dass ich mich langsam nach hinten wieder von dem Reh entfernte. Natürlich soll man die Tiere nicht anfassen, weil sie sonst zu zahm werden - da war bei diesem hier eh schon Hopfen und Malz verloren - aber ich konnte so einer Gelegenheit einfach nicht widerstehen...

Wir reihten uns in die Schlange für die Campingplätze ein und tatsächlich bekamen wir nach einigem Warten auch noch einen zugewiesen. Etwas abseits und an einem anderen Eingang des Parks zwar, aber wer wollte hier noch wählerisch sein. Wir waren froh, überhaupt noch etwas bekommen zu haben und begaben uns nun direkt zum Hodgdon Meadow Campground, wo wir als erstes alles Lebensmittel in der fest auf jedem Stellplatz verankerten bear box deponierten.

Zelt aufbauen, Luftmatratze aufpumpen, Auto entladen, Feuerholz suchen. So langsam bekommen wir Routine...
Jeder Stellplatz hat einen eigenen Picknicktisch mit Bänken und eine Feuerstelle und man darf abgestorbenes Holz, das überall herumliegt, verbrennen.
Das trockene Zeug brannte sofort. Ich hatte extra Marshmellows besorgt, die auf dünne Stöcke gespießt werden und so lange übers Feuer gehalten werden, bis sie außen eine kleine Kruste gebildet haben und innen geschmolzen sind. Hm, lecker! Jon als Profi zeigte mir, wie's gemacht wird.
Unsere Nachbarn waren, wie soll's anders sein, eine deutsche Familie, aber so weit entfernt, dass wir uns nicht gegenseitig störten.

Wir gingen früh ins Bett, immerhin hatten wir eine lange und anstrengende Wanderung vor uns. Außerdem wurde es bald ziemlich kühl.

Der nächste Tag begann damit, das Zelt abzubauen, alles einzupacken, Lebensmittel, die wir nicht mit auf die Wanderung nehmen wollten, zu entsorgen und zum Startpunkt unserer Zweitagestour zu fahren. Es gibt dort einen kleinen Parkplatz, wo wir das Auto stehen lassen wollten, deswegen durfte sich nichts Essbares im Auto befinden, denn Bären riechen einfach alles und haben keine Skrupel, in ein abgestelltes Auto einzubrechen, wenn sie Hunger haben, was eigentlich fast immer der Fall ist.
Wir schulterten unsere Rucksäcke mit Zelt, Schlafsäcken und bear box voller Lebensmittel beladen und machten uns auf den Weg.
Die erste halbe Meile führte recht steil bergauf durch einen 1990 durch einen Blitzschlag abgebrannten Wald, von w aus wir eine herrliche Aussicht auf unser Ziel, den Berg El Capitan, genießen konnten. Das schlaue Buch beschrieb den Aufstieg mit "punishing" und wir lachten und meinten, das wäre ja wohl alles halb so schlimm, denn besonders angestrengt hat uns das noch nicht.

Die ersten viereinhalb Meilen waren noch herrlich zu laufen, es ging zwar bergauf, aber immer so moderat, dass es nicht zu anstrengend wurde und zwischendurch waren immer mal wieder ein paar Bäche zu überqueren und es ging ein Stück abwärts. Zuerst durch den abgebrannten Wald, dann durch intakten lichten Nadelwald, wobei die ganze Zeit bei angenehmen Temperaturen die Sonne vom strahlend blauen Himmel schien.

Wir überquerten die einzige Brücke des Weges, über die alte Tioga Road, die fast überwachsen und für den Autoverkehr gesperrt ist und machten Mittagspause. "Essenpause", wie Jon auf deutsch sagte. Wir üben auf Reisen immer gerne ein bisschen deutsch und so vertrieben wir uns die Zeit.

Das Lachen sollte uns bald vergehen.
Die alte Tioga Straße führte uns noch ein Stück abwärts, aber mehr wie um Anlauf zu nehmen für die so ziemlich anstrengendste Steigung, die ich bisher bewältigt habe mit Ausnahme vielleicht vom Schwarzwald.
Das schlaue Buch beschrieb es ganz lapidar mit: "Steigen Sie steil bergauf." Wie lange und wie steil und wie punishing, stand da leider nicht.

Für die nächsten zwei oder drei Meilen brauchten wir Stunden! Immer wieder mussten wir uns hinsetzen und ausruhen, immerhin waren wir mittlerweile auf fast 2000 Höhenmetern angekommen und da merkt man bei Anstrengung schon die etwas dünnere Luft. Zunächst ging es steil bergauf durch Nadelwald, dann steil bergauf durch eine trocknere Gegend mit weniger Bäumen, dafür aber bodenbedeckenden kniehohen immergrünen Wasauchimmer Pflanzen, für die wir nicht die geringste Begeisterung entwickeln konnten.
Lohn für die Anstrengung waren immer wieder herrliche Ausblicke und die Wildnis, die sich vor uns auftat.
Der Bewuchs wurde immer spärlicher, aber immer noch ging es steil bergauf. Als wir gerade verzweifeln wollten - Jon trug den schwereren Rucksack und ich habe die kürzeren Beine - trafen wir einen anderen Wanderer, der uns entgegen kam. Er sei vor einer dreiviertel Stunde von El Capitan aufgebrochen überhaupt steige der Weg nur noch ein paar hundert Meter an, wir konnten den von vielen Blitzeinschlägen getroffenen kahlen toten Baum schon sehen. Danach nur noch geradeaus bzw. leicht abwärts.

Wir schöpften neue Hoffnung! Und kämpften uns die letzte Steigung bergauf. Mittlerweile war es ziemlich kühl geworden und es wehte ein eisiger Wind.

Der einsame Wanderer hatte Recht gehabt! Ab dem turning point ging es plötzlich wieder leichter. Wir kamen wieder in den Wald und es ging noch ein ganzes Stück abwärts über Feutchwiesen und einen Bach, aus dem wir unser Trinkwasser für den nächsten Tag gewinnen konnten und in dessen Nähe wir zelten wollten, denn unserem Buch zufolge gab es hier die einzige Campingmöglichkeiten auf dem Weg, d. h. einen Feuerring und eine flache Stelle für das Zelt. Am nächsten Morgen wollten wir endgültig den Berg besteigen.

Den Abend verbrachten wir, bis es uns gegen acht endgütlig zu kalt wurde, am Lagerfeuer. Wir hatten ein bisschen Angst vor der Kälte im Oktober und in 2300 m Höhe, aber ich bin ja Kummer gewöhnt von meinen Wanderritten und Wanderungen in Europa und weiß mittlerweile, worauf es ankommt.

Wir schliefen in meinem Minizelt von Decathlon, 2,4 kg schwer und groß genug für zwei Personen, wenn sie sich wirklich gern haben.
Gegen die Kälte vom Boden her hatten wir eine Leichtluftmatratze, die ich aus Deutschland mitgebracht hatte und eine Isomatte, frisch gekauft in Seaside. Darüber einen Fleeceschlafsack ausgebreitet.
Zudecken konnten wir uns mit meinem Santiago Schlafsack, über den ich zusätzlich meinen belgischen Armeeponcho breitete.
Dazu trugen wir alle Kleidung, die wir dabei hatten und ich wickelte mir einen Schal um den Kopf.
Und, was soll ich sagen? Trotz Nachtfrost haben wir nicht gefroren! Es war sogar richtig angenehm warm im Zelt. Man muss seine Körperwärme teilen, dann friert man auch bei Minusgraden nicht!

Dafür froren wir umso mehr, als wir am nächsten Morgen um sieben aus dem Zelt krochen. Ich hatte Jons Jacke an, weil meine eigenen nicht mehr in den Rucksack gepasst hatte und so musste der Ärmste in Hemd und Sweatshirt herumlaufen. Um warm zu werden, bestiegen wir sofort El Capitan, den Berg, wegen dem wir die Wanderung unternommen hatten. Leider hatte ich so früh am Morgen und ohne Trinken - das Wasser aus dem Bach hatten wir am Abend zuvor zum Löschen des Feuers benutzt - mit Kreilaufproblemen zu kämpfen, vor allem weil Jon um warm zu werden, einen für mich zu schnellen Schritt einschlug. Ich musste mich erstmal hinsetzen und langsamer weitergehen, aber zu dem Zeitpunkt war uns schon etwas wärmer.

Wir stiegen wieder etwas bergauf und erreichten die fast kahle Spitze des Monolithen, der sich hoch über das Yosemite Tal erhebt. Nur wenige Bäume haben es geschafft, hier oben auf dem Felsen Wurzeln zu schlagen und so hatten wir einen uns für alle Strapazen entschädigenden Ausblick auf die uns umgebende Bergwelt.

Jeder von uns genoss diesen Moment auf seine Weise. Jon versuchte, so nah wie möglich zum Abgrund zu gelangen und machte viele Fotos, während ich mich unter einen der wenigen Bäume setze und daran dachte, wie glücklich ich war und was ich schon alles erleben durfte. Und wie wenige der Menschenmassen, die wir unten im Tal gesehen hatten, einen solchen Augenblick erlebten. Ich fühlte mich wieder einmal seltsam priveligiert, hier zu sein.

Schließlich machten wir uns auf den Rückweg zu unserem Camp, frühstückten, bauten das Zelt ab und packten die Rucksäcke. Auf dem selben Weg sollte es wieder zum Auto zurück gehen.

Während wir bergab kletterten, dass meine Knie zitterten und ich immer wieder eine kurze Rast brauchte, staunten wir über uns selber, was wir am Vortag für Steigungen überwunden hatten. Bergab kamen sie uns noch steiler und unebener vor und wir waren mächtig stolz auf uns, was wir damit zu überspielen versuchten, dass wir uns gegenseitig verrückt schimpften, diese Wege hochgeklettert zu sein.

Die Mittagspause machten wir an fast der selben Stelle wie am Vortag und waren froh, am Nachmittag gegen Viertel nach drei endlich wieder am Auto zu sein. Ist schon ein sehr praktisches Fortbewegungsmittel!

Wir hatten den ganzen Tag noch keinen Menschen gesehen, doch das änderte sich schlagartig, als wir ins Tal kamen. Beim besten Anblick auf El Capitan hielten wir, wie so viele andere, an, um noch ein Foto zu machen, aber wir fühlten uns den anderen seltsam fremd. Wir waren noch am selben Morgen oben auf dem Berg gewesen und hatten ihn aus einer ganz anderen Perspektive erlebt. Aber wir waren auch dreckig und stanken ganz furchtbar, denn um Gewicht zu sparen, hatte ich keine frisch Kleidung in die Rucksäcke gepackt...

Wir brachten die bear box zurück, nachdem wir sämtlichen Müll ausgeleert hatten und setzten uns ins Auto, um nach Hause zu fahren. Unterwegs nur noch ein kurzer Stopp zum Abendessen bei Happy Burger in Mariosa, der damit warb, die größte Speisekarte der Sierra (Nevada) zu haben und wir erreichten Monterey gegen neun Uhr Abends.
Der erste Weg führte unter die Dusche, der zweite zum Computer, um die Erlebnisse der letzten Tage so zeitnah wie möglich zu notieren. Der allernächste wird mich so schnell wie möglich ins Bett fallen lassen!

Keine Kommentare: