"Doc sammelte Meerestiere im Grossen Ebbeteich an der Spitze der Halbinsel. Es ist ein fabelhafter Ort: Bei Flut ein wellenueberflutetes Bassin, cremig vor Schaum, gepeitscht von der Brandung, die von dem pfeifenden Boje vom Riff hereinrollt.
Aber bei Ebbe wird die kleine Wasserwelt ruhig und lieblich. Die See ist sehr klar und der Grund wird fantastisch mit eilenden, kaempfenden, fressenden, sich paarenden Tieren. Krabben huschen von Wedel zu Wedel der wogenden Algen. Seesterne hocken sich ueber Muscheln und Napfschnecken, haften ihre Millionen kleinen Saugnaepfe an und dann heben sie sie mit unglaublicher Kraft, bis ihr Opfer vom Felsen abgebrochen ist. Und dann kommt der Seesternmagen heraus und verleibt sich sein Futter ein. Orangefarbene und gefleckte Nudibranchs gleiten wuerdevoll ueber die Felsen, ihre Roecke wogen wie die Kleider spanischer Taenzerinnen."
So geht es noch eine Weile weiter - ich entschuldige mich fuer die miserable Uebersetzung - im Buch "Cannery Row" - "Strasse der Oelsardinen" von John Steinbeck, in dem ich gestern Abend gelesen habe.
Ha, die Spitze der Halbinsel ist nun wirklich nicht weit entfernt, etwa 25 Minuten mit dem Rad, den Coastal Trail entlang Richtung Pacific Grove. Was lag da naeher, als den Wahrheitsgehalt dieser Aussage selber zu ueberpruefen.
Ich machte mich also bei herrlichem Wetter und strahlendem Sonnenschein auf den Weg. In der Strasse der Oelsardinen kaufte ich mir fuer den Wucherpreis von $3,75 ein Eis zur Staerkung. Kaum hatte ich es im Laufen aufgegessen, war ich auch schon an der Stadtgrenze von Pacific Grove angelangt. Der Coastal Trail fuehrt parallel zur Ocean View Avenue am Meer entlang, vorbei an der Hopkins Marine Station der Stanford University, wo bis 1906 die Chinatown von Pacific Grove angesiedelt war, bis ein "mysterioeses und tragisches Feuer" das Dorf zerstoerte. 1907 verschwand der letzte Chinese aus Pacific Grove, auch wenn es 1879 hier noch fast 70 Maenner, Frauen und Kinder gegeben hatte, die ihre chinesischen Traditionen praktizierten und die Technik des naechtlichen Tintenfischfangs entwickelt hatten.
Ich fuhr weiter zum Lover's Point, einem markanten Felsen, der weit ins Meer hineinreicht und eine kleine Gruenflaeche beinhaltet, die bei dem schoenen Wetter dicht von sonnenhungrigen Menschenmassen bevoelkert war. Waehrend die Erwachsenen mehr oder weniger faul in der Sonne lagen, rannten Kinder zwischen ihnen hindurch und spielten Fangen.
Die Ureinwohner der Kuestenregion - die Rumsien Ohlone und die Esselen - lebten tausende von Jahren in einer Welt der natuerlichen Schoenheit und des Ueberflusses. Ihre Lebensweise aenderte sich schlagartig mit der Ankunft der Europaeer. Diejenigen, die ueberlebten, passten sich ihrer neuen Welt an und noch heute fuehlen viele Nachfahren dieser Menschen eine starke Bindung an ihre Vorvaeter und an dieses Land.
Der Bus einer franzoesischen Reisegruppe hatte am Strassenrand angehalten um seinen Insassen die Moeglichkeit zu geben auszusteigen und die sich auf den aus dem Wasser ragenden Felsen sonnenden Seehunde, die Moewen und Kraehen und ueberhaupt die ganze herrliche Natur des schmalen Kuestenstreifens zu bewundern.
Ein paar 100 Meter weiter erregte ein Schild meine Aufmerksamkeit, dass Besucher darauf hinwies, die Tide Pools zu betrachten, ohne etwas anzufassen. Hatte ich mein Ziel schon erreicht? Ich stellte das Rad ab und stieg eine steinerne Treppe zu einem kleinen, von einer Steinmauer eingefassten Strand hinab. Das Meer hatte hier Tonnen von Algen und Wasserpflanzen angespuelt, die sich hier bestimmt 20 cm hoch stapelten. Voegel pickten in dem halbgetrockneten Wust und kleine Fliegen suchten ebenfalls von der ueppigen Nahrungsquelle zu profitieren.
An der Grenze zwischen Wasser und Land fand ich wenigstens zum Teil, was Steinbeck beschrieben hatte. Man muss ganz genau hinschauen, um die kleinen Tiere, Krabben, die in Schneckenhaeusern wohnen, zu sehen. Ich kletterte ein bisschen auf den Felsen herum, doch so ganz zufrieden war ich noch nicht.
Das war noch nicht der Great Tide Pool, in dem Doc und Hazel gesammelt hatten. Die Spitze der Halbinsel hatte ich noch nicht erreicht. Also weiter!
Ich konnte nicht unterscheiden, ob Ebbe oder Flut war - die Gezeiten sind hier nicht so ausgepraegt, wie z. B. an der Nordsee - und als ich die Spitze erreichte und die brodelnden Wogen ueberschaeumenden Salzwasser sah, dachte ich schon, ich waere zur falschen Tageszeit gekommen.
Doch nur ein paar Meter weiter befindet sich der Great Tide Pool. Leider war, als ich ihn endlich gefunden hatte, mein Film voll und ich hatte auch keine Wasserschuhe dabei, um im nicht mal kniehohen Wasser zu waten, also konnte ich nur von Stein zu Stein huepfen und mir vornehmen, beim naechsten Mal besser ausgeruestet zurueck zu kommen.
Auf dem Rueckweg hatte sich schon der Volkshochschulkurs "Schoener Malen" in Pacific Grove eingefunden und produzierte nun wie wild die herrlichsten Gemaelde, die man sich so vorstellen kann.
Schnell fuhr ich nach Hause, wo ich schon sehnsuechtig erwartet wurde.
1875 traf David Jacks, zu dessen erhebliche Landbesitzungen eine Waldung - grove - anschliessend an seinen Besitz in Monterey gehoerte, eine legale Uebereinkunft mit der Howard Street Methodistenkirche von San Francisco. Die Pacific Grove Rueckzugsgesellschaft wurde gegruendet, und 30 mal 60 Zoll grosse "Zeltlose" wurden verkauft, fuer $50 pro Platz. Dieses Paradies in der Waldung inspirierte das Sprichwort "Carmel-am-Meer, Monterey-am-Geruch und Pacific Grove-an-Gott".
14 Oktober 2005
Great Tide Pool
Eingestellt von Kerstin um 10:38
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