11 März 2009

Träume und Ziele

Der Kopf ist in den Sternen, die Füße auf dem Boden.
Beides ist wichtig, und deswegen muss mal ganz deutlich zwischen Träumen und Zielen unterschieden werden.
Wenn ich früher eine Reportage im Fernsehen gesehen habe von einem, der mit zwei Pferden von Deutschland aus ins nordwestspanische Santiago de Compostella geritten ist, dann habe ich geträumt und mir gesagt: "Sowas würde ich auch gerne mal machen." Dann habe ich nicht weiter darüber nachgedacht und bin reiten gegangen. Eben ein Traum, ein "Was wäre wenn...?", aber wenn nicht, wäre auch nicht schlimm. Eine Kopfreise, nach den Sternen greifen. Was in diesem Fall besonders gut passt, denn Compostella bedeutet auf Spanisch "Sternenfeld".
Nie hätte ich gedacht, dass dieser Wunsch, dieser Traum vom Abenteuer ein paar Jahre später ein ganz konkretes, zwar weit entferntes aber durchaus greifbares Ziel würde. Sobald ich das Ziel allerdings hatte und darauf hin gearbeitet habe, Schritt für Schritt, Tag für Tag, Kilometer für Kilometer mit meinen eigenen Füßen, da war ich mir ganz sicher, dass ich dieses Ziel auch erreichen würde.
140 Tage habe ich, teils zu Pferd, größtenteils zu Fuß gebraucht, um vom Ruhrgebiet nach Finisterre, das Ende der Welt hinter Santiago zu erreichen. Ich bin sozusagen übers Ziel hinaus geschossen. Was ja nichts macht. Hindernisse gab es unterwegs genug, doch nie habe ich das Ziel aus den Augen verloren. Nicht bei jedem Schritt und jeden Tag habe ich an das Endziel gedacht. Vielmehr ging es meist "einfach nur" darum, den nächsten Schritt zu schaffen, das nächste Tages- oder Etappenziel zu erreichen, einfach die Wunder der Welt zu erleben, die sich auf dem Weg vor mir auftaten, Begegnungen und Bekanntschaften zu machen. Immer weiter.

Man sagt, dass die Pilgerreise nicht mit dem Ziel in Santiago endet, sondern dort erst anfängt. Und zwar handelt es sich nunmehr um einen inneren Weg, den man immer weiter gehen muss, sich weiter entwickelt. Das ist durchaus religiös gemeint als ein Weg zu Gott. Nun renne ich ganz bestimmt nicht jeden Sonntag in die Kirche, aber von meiner ganz tollen Religionslehrerin im Gymnasium habe ich einen weiten Gottesbegriff gelernt, der mit einem "himmlischen Vater" nur wenig zu tun hat. "Gott ist, was man liebt." Was einem besonders wichtig ist. Was man selber ist. Ein Weg zu sich selbst also eher. Ich gehe meinen Weg, den inneren Weg, habe mich verändert, manches gelernt, anderes (noch) nicht.

Aber ein innerer Weg ist auch immer nur so gut wie das, was dabei nach Außen dringt.
Gelernt habe ich, dass es sich lohnt, Träume und Ziele zu haben. Dass beides, der Kopf in den Sternen sowie die Füße auf dem Boden, wichtig sind. Dass aus Träumen Ziele werden können, aber nicht müssen. Dass es sich lohnt, Ziele zu verfolgen. Ich kann weit entfernt erscheinende Ziele erreichen. Ich kann meine Träumen wahr machen. Träume geben mir Perspektiven. Der Kopf in den Sternen ermöglicht mir, weit zu blicken. Hoch zu fliegen. Außergewöhnliches zu erreichen.

Was hat das alles aber nun mit dem Laufen zu tun?

Zuerst mal ist das Laufen eine ganz besondere Leidenschaft. Die Füße auf dem Boden. Jeden Schritt spüren. Spüren, intensiv leben, mich anstrengen, vorwärts kommen. Fliegen und fallen, mit jedem Schritt neu. Die Kraft, die Erschöpfung, die Arbeit des eigenen Körpers mit einer nie gekannten Intensität spüren. Dabei abheben, in Gedanken, völlig entspannen. Nichts denken, alles denken. An meine Grenzen gehen, Grenzen überschreiten, neue Grenzen finden. Das Leben in diesem Moment, mit diesem Schritt, voll auskosten, alles herausholen aus mir selber und dem Leben.

Träumen kann ich, wenn ich an meine läuferische Zukunft denke. Ich bin den Marathon noch nie schneller als 3:20:08 gelaufen, die 10 km noch nie schneller als 44:09. Doch was hindert mich daran, von 2:48 für den Marathon zu träumen oder 32 Minuten für die 10 km. Das sind die Qualifikationszeiten für die olympischen Ausscheidungsläufe. Beim Träumen vergebe ich mir nichts. Ebenso wie ich früher gedacht hatte: "Ich würde auch gerne mal nach Santiago reiten." und mir gleichzeitig auch kaum eingefallen wäre, dass ich es tatsächlich tun würde, kann ich mir doch denken: "Bei so einem Lauf wäre ich auch gerne mal dabei. So schnell würde ich auch gerne mal laufen können." Kopf in den Sternen.

Solange ich mit den Füßen auf dem Boden bleibe, mir realistische Ziele setze (wie z.B. 42:30 für den nächsten 10er) und darauf hin arbeite, dabei den Weg genieße, Freude habe am Weg und am Ziel, solange darf ich auch träumen. Träume bereichern das Leben. Auch wenn sie vielleicht - oder wahrscheinlich - nie erreicht werden. Das spielt keine Rolle. Solange Ziele realistisch sind, dürfen Träume unrealistisch sein. Jon, der sehr schlau ist, sagt mir, dass sich alles nur in meinem Kopf abspielt. Er meint, wenn ich mir sage, dass ich nie im Leben die 10 km in 32 Minuten laufen kann, dann werde ich es auch nie schaffen. Wenn ich aber davon träume, dann schaffe ich es vielleicht - oder wahrscheinlich - auch nicht, aber es besteht eine Chance, irgendwann so weit zu sein. Mit Träumen vergebe ich mir also nichts. Ich halte mir nur Möglichkeiten und Wege offen, die das Leben einschlagen könnte. Jon sagt auch, dass dafür alles zusammen kommen muss. Genug trainieren, um schneller zu werden, aber nicht zu viel, um nicht wieder verletzt zu werden. Natürlich eine große Portion Glück, aber wir sind ja Glückskinder. Schon allein dass wir uns gefunden haben grenzt in Anbetracht der Umstände an ein Wunder.
Und viele andere Faktoren spielen eine Rolle.

Aber was mir wirklich wichtig ist: Jemand glaubt an mich. Ich habe Jon gefragt, ob er etwa ernsthaft daran glaubt, dass ich es schaffen kann. Es muss alles zusammen kommen, hat er gesagt. Jedes kleine Detail muss stimmen. Aber er hat nicht gesagt, dass ich es nicht schaffen kann.
Das hat mich sehr gefreut!

Und beim anschließenden Training bin ich sowohl die letzten 400m (86 sec) als auch die letzten 200m (40 sec) schneller gelaufen als je zuvor.

11 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Liebe Kerstin,

Deine Worte haben mich berührt und ich musste den Eintrag ein zweites mal lesen, so schön, so wahr und so echt ist er ... Deine Beschreibung was laufen ist, was es für Dich bedeutet könnte ich unterschreiben und einen Traum zu haben und diesen zu leben, was sollte daran falsch sein. Bleibe wie Du bist, bleibe mit Deinen Füßen fest auf dem Boden und träume und schwebe genau dann etwas über dem Boden. Du kannst alles erreichen, glaube an Dich und Du wirst es! Du bist auf einem guten Weg, auf Deinem ... greife nach den Sternen und bleib wie Du bist!

Anonym hat gesagt…

Sehr schöne Gedanken, Kerstin. Und ich gebe Dir recht, Träume sollte man sich bewahren, ob offen ausgesprochen, so wie Du hier oder vorher mit Jon, oder still in sich getragen, spielt dabei keine Rolle. Auch Ziele sind wichtig, egal ob beim Sport oder in anderen Belangen und der Glaube daran. Aber ich finde, man sollte sich auch Zwischenziele sezten, realistische, um zum Ziel zu gelangen oder gar den Traum zu erreichen. Den Glauben nicht verlieren, auch wenn manchmal kleine oder größere Steine im Weg liegen. Jons Antwort auf Deinen Traum gefällt mir und Du weißt, dass er Dich auf Deinem Weg dorthin unterstützt, wo immer er kann und genauso fühlt wie Du. Und wer weiß, vielleicht passt eines Tages wirklich alles ...

Hase hat gesagt…

Einfach toll geschrieben, Kerstin!

Indy hat gesagt…

Wahnsinnig guter Beitrag!
Hat mich direkt dazu bewegt, die Box der Pandorra zu öffnen und über meine Ziele und Träume nachzudenken....
http://www.indys-welt.de/2009/03/12/traume-und-ziele/

Kerstin hat gesagt…

Danke. Manchmal muss es einfach raus. Dafuer ist der Blog ja da.

Pienznaeschen, das finde ich klasse, dass du das mit dem Laufen genauso siehst. Es hat schon manchmal was Magisches...

Michi, ich finde auch Zwischenziele extrem wichtig. Habe ich hier vielleicht jetzt zu wenig betont, aber wenn ich mir von heute auf Morgen vornehmen wollte, z.B. beim naechsten 10er 35 Minuten zu laufen, waere das voelliger Quatsch. Zwischenziele muessen realistisch sein und da muss man Geduld haben, abwarten, weiter sehen. Genau wie auf meiner Wanderung.

Danke, Kerstin.

Indy, schoen, dass ich was bewegen konnte. Dein Beitrag gefaellt mir auch sehr gut.

ultraistgut hat gesagt…

Hi, Kerstin

ich schließe mich meinen Vorredner an: sehr schön gedacht und auch in Worte gefasst. Es spricht Lebensfreude in dir, und das alleine zählt, Optimismus, Träume, alles in ein Paket geschnürt, was wären wir ohne sie ?

Was ich dir wünsche ?

Alles, um deinen Träumen näher zu kommen, nur was ist, wenn dieser Traum erfüllt ist - ein neuer ?

Gerd hat gesagt…

Wunderschön geschrieben.
Nimm deine Träume und lebe sie. Ich wünsche es Dir.

Kerstin hat gesagt…

Margitta, vor dem Problem, was tun wenn ein Traum in Erfuellung gegangen ist, stand ich schon mal. Nach Santiago bin ich in ein ziemliches Loch gefallen. Aber ich werde niemals aufhoeren zu traeumen. Mir wird schon was Neues einfallen. Und dieser olympische Traum ist auch nicht der einzige, den ich habe. Laufen ist nicht alles...

Gerd, genau das habe ich vor. Nur nicht (mehr) um jeden Preis.

Kerstin hat gesagt…

Ach ja, ich bin damals in der Eifel mal eine Stunde lang gejoggt - als praktisch Nichtlaeufer - und habe am naechsten Tag davon gesprochen, dass ich irgendwann mal einen Marathon laufen wuerde. Alle haben mich fuer verrueckt erklaert damals...

Anonym hat gesagt…

Tolle Gedanken, ehrliche Gedanken - kann ich alles nachvollziehen. Danke fuer den Beitrag! Bodo

Anonym hat gesagt…

Sehr interessante Träume und Ziele. Und wie Du schreibst, man muß an sich selbst glauben, dann ist (fast) alles möglich.

Wenn dazu noch andere an Dich glauben - wunderbar!

Mögest Du Deine Träume realisieren können.